Ich würde alles dafür tun, damit das Systemversagen nicht zur Regel wird.

Ein Interview mit Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano, der Guttenbergs Dissertation für die Zeitschrift Kritische Justiz rezensierte und durch einen Vorabbericht in der Süddeutschen Zeitung die öffentliche Debatte in Gang setzte.

AStA: Mit Ihrer Rezension zu Guttenbergs Doktorarbeit haben Sie die öffentliche Debatte eröffnet und ihn letztlich dadurch gestürzt. Welche Motivation steckte dahinter?

Andreas Fischer-Lescano: Zu keinem Zeitpunkt hatte ich beabsichtigt, den Verteidigungsminister zu stürzen. Ich wollte eine kritische Rezension seiner Dissertation vorlegen und mir die Arbeit der „Wissenschaftsperson“ zu Guttenberg aus der Perspektive kritischer Rechtswissenschaft ansehen. Ich hatte vor, die Arbeit inhaltlich zu kritisieren.
Die Dissertation ist 2009 veröffentlicht worden. Ich habe im vergangenen Wintersemester an der Universität Bremen ein Seminar zur Verfassung jenseits des Staates angeboten und mir die zu diesem Seminarthema in den letzten Jahren erschienene Literatur angesehen. Dabei habe ich festgestellt, dass Herr zu Guttenberg mit einer Arbeit promoviert wurde, die thematisch in meinem Bereich liegt. Das hat mich natürlich interessiert. Immerhin ging es um ein sehr prominentes Regierungsmitglied, dessen Arbeit bei einem sehr angesehenen Kollegen in Bayreuth – Peter Häberle – betreut und mit der Höchstnote „summa cum laude“ bewertet worden ist.

AStA: Hinter Ihrem Vorgehen verbirgt sich also ein rein wissenschaftliches Interesse?

Andreas Fischer-Lescano: Ja. Ich hatte natürlich nicht erwartet, dass ich mit allen Thesen des Autors einverstanden sein würde, im Gegenteil: Mein Ziel war, die Arbeit eines konservativen Rechtspolitikers zum Ausgangspunkt zu nehmen, um einige Grundmotive in der europäischen Rechtspolitik zu identifizieren und dazu eigene kritische Gegenpositionen zu entwickeln. Ich wollte Herrn zu Guttenberg als wissenschaftlichen Autor ernst nehmen und mich dann an seinen Thesen abarbeiten.
Ich war dann von der Arbeit sehr enttäuscht und wollte die Arbeit and er Rezension dann eigentlich schon einstellen, weil ich dachte, das Buch gibt nichts her. Ich kam aus der Rezensierungspflicht aber nicht mir elegant raus. Der Verlag hatte mir Anfang Februar ein kostenloses Rezensionsexemplar geschickt und durch die Annahme verpflichtet man sich dann, auch eine Rezension abzugeben. Mir fiel kein_e Mitarbeiter_in ein, an die/den ich das gut hätte delegieren können, also habe ich mich dann doch aufgerafft und mit der Arbeit an der Rezension begonnen.
Bei der Lektüre war mir aufgefallen, dass das Sprachniveau in der Arbeit sehr, sehr unterschiedlich war. Ich hatte vermutet, dass zu Guttenberg seine politischen Reden verwendet haben könnte, um sozusagen eine Dissertations-Collage aus diesen reden zu basteln. Ich hatte darum die aus meiner Sicht argumentativ schwächste Passage gegoogelt und fand sofort einen Treffer. Ich habe dann weiter gesucht und fand immer mehr Plagiate, weshalb ich begann eine Tabelle anzulegen. Nach etwa zwei Stunden habe ich die Suche aufgegeben, weil ich schon so viel gefunden hatte, dass ich sicher war, dass man ihm dafür den Titel aberkennen muss.
Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Arbeit habe ich dann in meiner Rezension im Grunde nicht mehr unternommen, der Autor hatte sich ja doch seine Plagiierung als wissenschaftlicher Autor völlig diskreditiert.

AStA: Welche Reaktionen erreichten Sie?

Andreas Fischer-Lescano: Ich bin es gewohnt, meine Arbeit einer Fachöffentlichkeit auszusetzen, da geht es sehr kühl, sachlich und abgeklärt zu. In den Tagen nach der Veröffentlichung meines Plagiatvorwurfs und jetzt wieder seit dem Rücktritt des Ministers wurde ich mit sehr emotionalen Reaktionen konfrontiert, die das gesamte mögliche Spektrum abdecken. Zunächst gibt es viel Zuspruch von meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem universitären Bereich. Zuspruch gab es auch aus einer kritischen Öffentlichkeit und seitens meiner Studierenden am Fachbereich, die beispielsweise bei einem Radiosender interveniert haben, weil sie fanden, dass der Hinweis auf meine politische Einstellung unsachlich sei. Es gibt aber auch viele negative Reaktionen bis hin zu Beleidigungen und Hass-Mails. Ich sei Teil einer kommunistischen Weltverschwörung. Oder ein Denunziant.

AStA: Sie haben in mehreren Interviews betont, dass Sie das eigentliche Problem im deutschen Wissenschaftssystem sehen. Erwarten Sie noch mehr Plagiate dieser Art?

Andreas Fischer-Lescano: Insgesamt denke ich, dass der Verlauf der Affäre das Wissenschaftssystem gestärkt hat. Der Protest Tausender Doktorand_innen und Kolleg_innen und die kollektive Arbeit an Wikiplag haben mich sehr positiv überrascht. Denn das zeigt doch, dass das Wissenschaftssystem nicht bereit ist, sich einer politischen Logik der Machtarithmetik zu unterwerfen. Dieser kollektive Einsatz für die Einhaltung von Fundamentalregeln der Wissenschaft und die breite Skandalisierung der Bagatellisierung von Regelverstößen halte ich für ein sehr gutes Zeichen.
Es ging in diesem Fall nie nur um die Person zu Guttenberg: Dass eine solche Arbeit an einer angesehenen deutschen Universität mit der Bestnote bewertet wird, darf das Wissenschaftssystem nicht hinnehmen. “Summa“ ist die Bestnote, das heißt an einer solchen Arbeit muss alles stimmen, sie muss pointiert sein, systematisch, weiterführend, aus einem Guss. Das habe ich bei zu Guttenbergs Arbeit nicht gesehen.
Jede Studentin, jeder Student, dem ein vergleichbares Vorgehen nachgewiesen wird, fällt durch die Prüfung. Insofern ging es hier auch um eine Frage der Rechtsgleichheit.

AStA: Das heißt, Sie haben auch schon Studierende beim „Abschreiben“ erwischt?

Andreas Fischer-Lescano: Regelmäßig. Deshalb kontrolliere ich routinemäßig und suche im Internet nach auffälligen Wortgruppen – insbesondere wenn eine Arbeit sprachlich nicht einheitlich ist. In Bremen habe ich deshalb den Ruf, dass ich Textübernahmen finde. Seitdem versuchen es meine Studierenden seltener – ich hoffe also auch auf einen gewissen erzieherischen Effekt. Ich würde jedenfalls alles dafür tun, damit das Systemversagen nicht zur Regel wird.

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