Liebe Studierende,
viele von Euch fragen sich sicherlich, was genau in der diesjährigen kritischen O-Woche passiert ist und wie es zu einem derartigen Statement unsererseits gekommen ist. Mit etwas Abstand und einigen Reflexionsgesprächen möchten wir euch über das Geschehen aus unserer Perspektive berichten.
Für alle neuen Studierenden: Politische Angriffe durch Andersdenkende, Parteien und Universitätsorgane sowie Repressionen auf die studentische Selbstverwaltung sind leider nichts Neues. Weder in Bremen noch anderswo. In der Vergangenheit wurden wir schon öfter vom Rektorat „eingeladen“, um Rückfragen zu verschiedenen Veranstaltungen beantworten zu müssen. Fast jährlich gibt es außerdem die obligatorische Anfrage der FDP in der Bremischen Bürgerschaft, die alle linkspolitischen Gruppen innerhalb der Uni und der Stadt als Linksextremist*innen verteufelt und gerne wissen möchte, welche Gruppen in der für sie hochbedeutenden Kritischen O-Woche des AStA welche Veranstaltungen anbieten. Ob legitime Nachfrage oder eher der klägliche Versuch, Raum in der Unilandschaft zu gewinnen, wenn es die eigene Hochschulgruppe in Form der LHG mit Slogans wie „Jeder Extremist ist Mist“ und „Antifa in der Pfeife rauchen“ mal wieder nicht in den AStA geschafft hat – muss an dieser Stelle jede*r für sich selbst entscheiden.
Auch in diesem Jahr wurde Kritik an der Kritischen O-Woche – aus den Reihen der Bremer Politik – laut, auf die auch das Rektorat reagiert hat. Das öffentlich angekündigte Gespräch, war kein Klärungsgespräch auf Augenhöhe sondern eine Anhörung inklusive ordentlicher Drohkulisse. Der AStA-Vorstand wurde zu Beginn der Kritischen O-Woche und nach der klassischen Kleinen Anfrage der FDP in der Bürgerschaft zu einem „Gespräch“ mit dem Rektorat zitiert. Auf Höflichkeiten und ein breiteres Terminangebot wurde dabei jedoch – sicherlich nur im Namen der Dringlichkeit – verzichtet. Schnell stellte sich heraus, dass es sich nicht um ein Gespräch handeln wird, sondern viel mehr um eine Anhörung samt Anklageschrift der Uni-internen Rechtsstelle. Da für uns vorab nicht klar war, auf was für ein „Gespräch“ wir uns inhaltlich vorbereiten müssen, hatten wir natürlich keinen Rechtsbeistand dabei.
Neben dem Bremischen Hochschulgesetz (BremHG) wurde während der Anhörung auch das Märchenbuch aufgeklappt. Im Laufe der Anhörung wurde uns mitgeteilt, dass das Rektorat eine Prüfung der Veranstaltungen der Kritischen O-Woche vollziehen wird und sich diese Prüfung positiver gestalten wird, wenn wir ein Statement zur Distanzierung unserer eigenen Kritischen O- Woche verfassen und das Programm von der Webseite nehmen würden. Was genau diese Prüfung, neben einer Einschätzung, ob wir unser hochschulpolitisches Mandat überschritten haben, beinhalten soll, blieb bisher unklar. Aus Vorsicht und aus Kalkulation, die bis dato noch nicht stattgefundenen Veranstaltungen nicht absagen zu müssen und weitere massive Einschränkugen in unseren Handlungsmöglichkeiten zu verhindern, haben wir der vom Rektorat erzeugten Drohkulisse nachgegeben. Mittlerweile wissen wir, dass es eben genau das ist: eine Kulisse, um uns als gewählte Studierendenvertretung und linke Studierende einzuschüchtern und unser Wirken sowie das der linken Stadtgruppen zu schwächen und unsere politische Arbeit zu skandalisieren.
Der AStA hat die Kritische O-Woche zwar initiiert und organisiert, jedoch haben wir in keinerlei Hinsicht den Eindruck erweckt, die in den Veranstaltungen vertretenden Positionen seien die des AStA selbst. Die Kritische O-Woche dient in erster Linie dazu, Erstsemesterstudierenden das Ankommen in einer neuen Stadt zu erleichtern und die Uni nicht nur als eine Lernfabrik wahrzunehmen, sondern auch als politischen und sozialen Raum. Zum Ankommen in einer neuen Stadt gehört es auch, sich in den politischen sowie kulturellen Kontexten zurechtzufinden, um Kontakte und Freundschaften aufbauen zu können. Dass die politische und kulturelle Szene vorwiegend links geprägt ist, zeigt sich so also auch im Angebot der Kritischen O-Woche, die als Ergänzung zu allgemeinen, studentischen und universitär organisierten Veranstaltungen der Stugen und Fachbereiche der Universität dienen. Universitäten sind ein Ort des Diskurses, der Meinungsbildung und eben auch zum Austausch dieser. Genau dies ermöglicht das „Lexikon des militanten Bremer Linksextremismus“ (Weser-Kurier) – oder wie wir es sagen würden: bunte politische Programm zum Semesterstart – in Form von verschiedenen Veranstaltungen mit hochschulpolitischen Bezügen.
Sprechen wir also in der Universität über den Kapitalismus, müssen wir eben auch über Marx sprechen. Einen tatsächlich kritischen Diskurs wird es dazu aber nicht im Hörsaal der Wirtschaftswissenschaften geben, sondern eben nur außerhalb der verpflichtenden Seminare und Vorlesungen in Form von studentisch organisierten Veranstaltungen.
Sicherlich sind wir zu einer gewissen Pluralität angehalten, das heißt allerdings nicht, dass keine Linie erkennbar sein darf. Schließlich wurde bei den Studierendenratswahlen und den anschließenden AStA-Wahlen repräsentativ gewählt. Gleichzeitig gehen die angebotenen Veranstaltungen inhaltlich weit auseinander. Auch der Senat betont in seiner Antwort auf die von der FDP gestellten Anfrage, dass „die Studierendenschaft im Bereich der Ausübung ihres hochschulpolitischen Mandats keiner Neutralitätspflicht“ unterliegt, „sodass ihr ein Recht zur kritischen Meinungsäußerung zusteht, solange sich diese im Rahmen der allgemeinen Gesetze bewegt.“
Ergänzend möchten wir betonen, dass keine der genannten Gruppen als verboten gelten. Auch hat der Verfassungsschutzbericht lediglich einen Informationscharakter. Und als solcher sollte er für linkspolitische Thematiken behandelt werden. Dieser Verfassungsschutzbericht ordnet einige der teilnehmenden Gruppen der Kritischen O-Woche „gewaltortientierten linksextremistischen Gruppierungen“ zu und berichtet von „teilweise hemmungsloser Gewalt“. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Einordnung, die auf Mutmaßungen und nicht auf nachgewiesenen Taten beruht. Auch hier wird wieder eine Drohkulisse inszeniert, die wir bereits vom Rektorat der Universität Bremen kennen.
Wir sind nicht überrascht, dass die Öffentlichkeit mit dem altbekannten Hufeisenschema um sich wirft. Und auch nicht, dass CDU und FDP aus allen linkspolitischen Studierenden direkt Linksextremist*innen macht. Umso wichtiger ist es, dass wir als Studierendenvertretung, aber auch als Studierende selbst, der Vorstellung, dass die politische Landschaft wie ein Hufeisen mit zwei extremistischen Polen aufgebaut ist, entgegenwirken. Vermeintlichen Linksextremismus als genauso gefährlich wie Rechtsextremismus einzuschätzen, ist absurd und verlogen. Vor allem, wenn die Kategorisierung von einem derart kontroversen Staatsorgan wie dem Verfassungsschutz kommt.
Während bürgerliche Parteien mit viel Presseaufgebot und populistischen Titeln weiter am Feindbild „links“ arbeiten, können Unterstützer*innen offen rechter Parteien wie der AfD allerdings ungehindert an der Uni schalten und walten. Zuletzt sorgte die Wahl der neuen Dekanin der Wirtschaftswissenschaften für einen Aufschrei an der Universität. Der Aufschrei kam jedoch, wieder einmal, nur aus Reihen der Studierenden. Das Rektorat, die Pressestelle und die Rechtsstelle der Universität sowie die FDP und der Weser-Kurier, die zur kritischen O-Woche noch klare Worte fanden, hielten sich hier in (Selbst-)Kritik und öffentlichen Äußerungen auffällig zurück. „Gelöst“ wurde das „Problem“ intern hinter verschlossener Tür fernab der Öffentlichkeit. Auch wurde kein Antrag der CDU oder FDP in der Bremischen Bürgerschaft zu dem Thema eingereicht. Warum nicht?
In alter Unitradition würden wir den bekannten Status als Linke Kaderschmiede gerne beibehalten und im Rahmen unserer Möglichkeiten – die uns durch das BremHG explizit verliehen werden – aktiv fördern, um einen Weg in die (befreite) Gesellschaft für alle Bremer Studierenden zu ebnen.
Diese Auffassung scheint das Rektorat nicht zu teilen. Einen Diskurs darüber hätte man jedoch auch bei Kaffee und Kuchen, statt mit der Rechtsabteilung der Uni führen können.
Der Bremer AStA ist nicht die einzige Studierendenvertretung – ob gewählt oder kollektiv organisiert – die für ihre politische Arbeit an Hochschulen und umzu Repressionen erfahren mussten und müssen. Genau mit diesen möchten wir uns auch bundesweit solidarisieren und gemeinsam kämpfen.
Studieren, organisieren, kämpfen!