Zuschrift: Iran: Eine feministische Revolution!

— English Version: Feminist Revoultion in Iran! —

Liebe Asta-Menschen,

als deutsch-iranische Studentin der Uni Bremen, die seit einem Monat den mutigen feministischen Kampf meiner Schwestern im Iran mit einer Mischung aus Bewunderung, Sorge, Schmerz und Wut verfolgt, möchte ich gerne ein paar Punkte auf diesem Weg loswerden, da ich nicht mehr in Bremen wohnhaft bin und entsprechend an dem Treffen morgen in der Glashalle nicht persönlich teilnehmen kann. Ich bitte euch, diese Gedanken vertretungsweise öffentlich zu machen (be my voice und so..)und hoffe, dass sich morgen möglichst viele Menschen zusammenfinden, befürchte aber, dass es leider nicht so sein wird…

Begrifflichkeiten

1.) Ich hab mit reichlich Verwunderung festgestellt, dass der Asta eine, sagen wir mal, sehr schwammige Formulierung in seiner Mail gewählt hat: „Solidaity with the Iranian Protest“. Aha. Diese Formulierung leugnet den genuin feministischen Charakter dieser Bewegung und spricht ihr ihre Symbolik ab. Nur, weil Studierende beteiligt sind (in großer Zahl), ist es noch kein Studierenden-Protest. Das ist nicht Deutschland 1968. Ihre Beteiligung ist ganz wichtig, ganz richtig, insbesondere vor dem Hintergrund, was in der Sharif Universität und anschließend im Evin-Gefängnis passiert ist. Aber nicht charakterisierend (btw die Mehrheit der Studis ist....weiblich).

In diesem Zusammenhang viel bemerkenswerter hingegen ist die Beteiligung von minderjährigen Schülerinnen, die sich in großer Zahl ganz bewusst in Lebensgefahr bringen. Dies ist etwas, was es in dieser Form nicht gab, auch nicht 2009. („ On Tuesday, videos showing teenage pupils at Elnaz’s school and others across the country waving their headscarves in the air and shouting defiant protest slogans went viral. Many Iranians have been shocked to see schoolgirls emerging as a powerful force of protest.

(https://www.theguardian.com/global-development/2022/oct/09/iran-protests-schoolgirls-videos-khamenei)

Das zeigt auch die direkte Solidarisierung von afghanischen Schülerinnen, die ihr Recht auf Bildung einfordern. Die BürgerInnen sind allesamt vereint in ihrem Anliegen (gegen die Mullahs,gegen das Regime, für die Freiheit aller), jung bis alt, Frauen, Männer, alle Ethnien.

But make no mistake, an vorderster Front stehen, laufen, kämpfen Frauen und Mädchen. Diesen genuin feministischen Charakter dieser Revolution einfach auszublenden, zu ignorieren oder zu verschweigen ist respektlos gegenüber dem Risiko für Leib und Leben und dem Opfer, das all diese Frauen und Mädchen bringen, der Gefahr, der sie sich aussetzen, wenn sie einfach nur ein Stück Stoff absetzen, geschweige denn, ihre Meinung frei äußern. Es sind Frauen, die sich von Afghanistan bis Frankreich die Haare abschneiden. Es sind Frauen und Mädchen, die wissen,werden sie festgenommen, wird sie die bestialische Unmenschlichkeit der Basiji ganz besonders treffen; bevor sie tot geprügelt werden, werden sie vergewaltigt. Gerade, wenn der Stein des Anstoßes die Gleichberechtigung und SICHTBARKEIT VON FRAUEN in der Öffentlichkeit ist, ist es befremdlich, wenn so eine verbale Ganzkörperverschleierung stattfindet

Macht sie sichtbar. Honor them, wie der Asta schreibt. Say their names. ZAN, ZENDEGI, AZADI.

FRAU - LEBEN - FREIHEIT. Nicht Student Leben Freiheit, nicht Iraner Leben Freiheit.

Für Jina Mahsa, für Nika, für Sarina, für zu viele…

2.) „Let the world know this is no longer a protest – we are calling for a revolution.“**

Es geht hier nicht um eine Kritik, etwas innerhalb des Systems zu ändern. Es geht nicht um politische Differenzen. Es geht ums Ganze. Es geht um nichts Geringeres als die Abschaffung des ganzen Systems. Die Parole, die am meisten zu hören ist, lautet „Marg bar dictator“ und „Marg bar Khamenei“ - Tod dem Diktator. Das nennt man nicht Protest (wie bspw. bei Fridays for Future), das nennt man Revolution. Ob sie scheitert oder nicht werden wir sehen (wären Prognosen was Wert, wäre die Ukraine innerhalb einer Woche gefallen...). Niemand kann in die Zukunft schauen, aber eins ist sicher, jede Revolution braucht Aufmerksamkeit und Symbole. Das Symbol haben wir bereits. Das Kopftuch ist ein Grundpfeiler der Mullah-Diktatur. Jetzt brauchen wir Aufmerksamkeit. Auch hier gilt: Nennt das Kind beim Namen und verzahmt nicht die Radikalität dessen, was dort gerade passiert, was die Menschen dort tun. Bei einem Protest werden nicht wahllos und massenweise Menschen ermordet. Was braucht es noch um es als Revolution zu bezeichnen?

Diesen Absatz abschließend möchte ich auf Werders Ultras verweisen, deren Formulierung ich mir auch vom Asta gewünscht hätte:

Nieder mit dem Patriarchat, nieder mit dem Mullah-Regime.

Lang lebe die feministische Revolution im Iran!“ (Shout-out to IY)

**https://www.theguardian.com/global-development/2022/oct/18/iranian-schoolgirl-beaten-to-death-for-refusing-to-sing-pro-regime-anthem

Was tun? Silence is Violence…

Da ihr diskutieren wollt, was getan werden kann: Aufmerksamkeit schaffen. Das war’s.*** Mehr verlangen die Menschen im Iran nicht. Keiner ruft nach Waffenlieferungen oder einem militärischen Einmarsch. Nur nach Sichtbarkeit. „Be our Voice“ lese ich seit einem Monat. Immer wieder. In einem Land, in dem regelmäßig, insbesondere bei sichtbarem Dissent und Aufruhr, das Internet gekappt und die Kommunikation zum Rest der Welt radikal eingeschränkt wird, ist es umso essentieller, als Außenbetrachterin zur Außenbeteiligten zu werden. Schreit es morgen ins Mikro/Megaphon: Tweetet bis die Finger bluten!

Es heißt immer, sozialer Wandel wird nicht am Keyboard erreicht. Stimmt. Die Menschen dort haben die Straßen. Aber hier bleibt nur die Tastatur. Nutzt Social Media für was Sinnvolles. Zeigt, dass es nicht nur ein toxischer virtueller Raum für Hasspropaganda sein muss. Zeigt, das es auch eines von vielen Mitteln sein kann, und in diesem Fall wohl das einzige Mittel außerhalb des Iran,das jede Person mit Account nutzen kann.

Als vor zwei Wochen in vielen Städten weltweit in Solidarität demonstriert wurde, hat man das auch im Iran gespürt. Es gab einen Push, es gibt Kraft, die dringend benötigt wird, wenn man täglich auf die Straße geht. Es bedeutet den Menschen wirklich verdammt viel. Und es macht die Machthaber im Regime nervös. Sie haben verdammt Schiss. Man spürt es. Auch Basijis müssen schlafen. Was die Menschen brauchen, ist ein langer Atem. And every Tweet and Retweet is a breath of fresh air. Die Menschen brauchen eure Aufmerksamkeit und eure Plattformen. Ist nicht zu viel verlangt, oder? Auch im Iran sind die Menschen für Black Lives Matter auf die Straßen gegangen. Und da war die Situation mit Corona nochmal um einiges schwieriger.…

Silence makes the Oppressor more cruel, stand damals auf einem der *Protest*schilder. Das Schweigen ist ohrenbetäubend. Und wir kriegen das ganz genau mit. Und es tut verdammt weh.

Ich erwarte nichts anderes von Anna-Lena und co. Aber wo sind die ganzen echten linken Antisexisten und Superfeministinnen plötzlich? Ich geh seit meiner Jugend für alle Menschen auf die Straße und ihr seid jetzt genau wo?

We want the clerics to get lost. Our mothers didn’t have the internet to tell the world whatwas done to them, but we do. I am here for Nika and for all other Iranian sisters who losttheir lives but haven’t made the news,” Elnaz says (https://www.theguardian.com/global-development/2022/oct/09/iran-protests-schoolgirls-videos-khamenei).

Baraye Nika. Baraye Sarina. Baraye Minoo. Baraye Asra. Baraye Jina Mahsa.

Baraye Azadi.

***Das einzige, was Studi-spezifisch vielleicht noch von Interesse wäre: auf die Heuchelei der Mullahs und iranischen Eliten zu verweisen, die, während sie ihre eigenen Kids an europäische und amerikanische Universitäten schicken, wo sie so gar keinen Mullah-Regeln unterworfen sind, iranische StudentInnen an ihren iranischen Universitäten massakrieren (währenddessen twittert die NYT Zwiebelsuppen-Rezepte...anderes Thema...)




(AStA: Zur Einordnung: Das war der Einladungstext, der am 17.10.22 vom AStA an alle Studierenden geschickt worden ist:

About: Solidarity with the Iranian Protest: 19.10. 14:00 Glashalle
Date/ Datum: 19.10. 14:00Place: Glashalle/ Uni Bremen central area
Dear Students,
since weeks there are on-going protests in Iran. Students protest and strike. The repression by the regime is brutal. We want to honor the call for Solidarity from the Iranian People. To share our thoughts and discuss, what can be done, we want to meet at Wednesday at 2 p.m. in the Glashalle. Join us there or send your contact info to vernetzung[et]asta.uni-bremen.de to stay tuned!

Liebe Studis,
seit Wochen gibt es Proteste im Iran. Studierende Streiken an den Hochschulen. Die Repression des Regimes ist brutal. Wir möchten den Ruf nach Solidarität der Iranischen Bevölkerungen respektieren und uns am Mittwoch den 19.10. um 14 Uhr in der Glashalle treffen, um unsere Gedanken zu teilen und zu diskutieren, was getan werden kann. Kommt dazu oder sendet eure Kontakt-Infos an Vernetzung[et]asta.uni-bremen.de